Zweites Sieb

Der panromanische Wortschatz (PW)

Neben dem Internationalen Wortschatz (IW), zu dem alle Sprachen beitragen, teilen die romanischen Sprachen einen für sie spezifischen ,Familien'- Wortschatz, den wir als panromanischen Wortschatz (PW) bezeichnen.

Er enthält die fast gänzlich aus dem Latein stammenden Wörter, die in allen oder den meisten romanischen Sprachen bis heute gebräuchlich sind. Wenn ein Wort in mindestens fünf romanischen Sprachen enthalten ist, wird es bei EuroCom als panromanisch bezeichnet. Der PW bietet dem Lerner ähnliche Hilfestellung beim Optimierten Erschließen wie der IW. Die hier zusammengetragenen Wörter gehören ganz überwiegend zum Grundwortschatz der romanischen Sprachen, oft sogar zu den häufigsten Wörtern in der jeweiligen Sprache. Kennt man diese Wörter in seiner Brückensprache, findet man auch schnell die Entsprechungen beim Übergang in andere romanische Sprachen. Dies spart beim Lernen viel Zeit und erhöht die Motivation!

vai!

Das gesprochene Latein der Römer, das auch Vulgärlatein genannt wird, breitete sich mit den römischen Legionen im ohnehin vielsprachigen Imperium Romanum  aus. Es gab keine Autoritäten oder Akademien und Medien, die dafür gesorgt hätten, dass sich eine schriftsprachliche Norm entwickelt. Daher glichen sich die gesprochenen Varianten an die sprachlichen Gewohnheiten der Legionäre einerseits und die der eroberten Völker anderseits an und entwickelten sich regional unterschiedlich. So kamen auch viele neue Wörter aus verschiedenen Sprachen hinzu. Dennoch gab es im Wortschatz einen großen Anteil, der allen Regionen des Imperiums gemeinsam war. Ein bedeutender Teil dieses Wortschatzes hat sich trotz der anderthalb Jahrtausende, die inzwischen vergangen sind, bis heute in allen romanischen Sprachen erhalten. Man nennt ihn panromanisch (gr.: pan- = dt. alle).

Die Zahl der romanischen Sprachen ist auch unter Fachleuten nicht ganz unumstritten: traditionell rechnet man mit neun (Rumänisch, Italienisch, Rätoromanisch, Sardisch, Französisch, Okzitanisch, Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch). Man müsste aber zumindest das Frankoprovenzalische im Länderdreieck Italien (Val d’Aosta), Schweiz, Frankreich noch hinzurechnen, könnte die Zahl aber auch noch weiter erhöhen, da die Grenzen zwischen dialektaler Variante einer Sprache und eigenständiger Sprache nicht immer eindeutig zu ziehen sind. Letzten Endes hängt es vom politischen Willen der jeweiligen Sprach-(Dialekt-)gemeinschaft ab, ob eine Sprache zur nationalsprache gemacht wird. Für EuroCom ist aber unerheblich, ob und welche Varianten als eigenständige Sprache anerkannt werden - aus praktischen Erwägungen beschränken wir uns auf die konventionelle Zahl 9. Der Ansatz erlaubt aber das Optimierte Erschließen in jeder romanischen Sprachvariante, also z.B. auch im Galicischen, Korsischen oder sogar in den „neoromanischen“ Kreolsprachen und vielen anderen mehr. Wenn also von «allen» romanischen Sprachen die Rede ist, dann sind hier auch alle 'Dialekte' oder 'Varietäten' eingeschlossen.

Für die Elemente des panromanischen Wortschatzes gilt, dass deren Kenntnis in einer romanischen Sprache es entbehrlich macht, sie nochmals formell für die anderen romanischen Sprachen zu lernen. Lediglich das (Wieder-) Erkennen in der neuen sprachlichen Umgebung muss trainiert werden. Neologismen – also Wortneuschöpfungen wie etwa Hotel oder Restaurant – könnten auch als panromanisch bezeichnet werden, wurden aber nicht in das vorliegende Inventar aufgenommen, weil sie nicht zum romanischen Erbwortschatz gehören.

Der panromanische Wortschatz besteht aus etwa 500 Elementen, die sich sechs Kategorien zuordnen lassen:

Der Nukleus des panromanischen Wortschatzes

Die 39 im engsten Sinne panromanischen Wörter sind in allen romanischen Sprachen vorhanden und gehören häufig sogar zu deren Grundwortschatz. Die meisten haben außerdem die Grenzen der romanischen Familie überschritten und sind zum Beispiel auch im deutschen Lehnwortschatz vertreten. U. a. damit können Deutschsprachige beim Erschließen also nicht nur von ihrer romanischen Brückensprache, sondern auch vom Deutschen profitieren.

Die folgenden (Nonsens-)Texte enthalten die 39 panromanischen Wörter in alphabetischer Reihenfolge:


Lies den Text und höre ihn dir auch an. Damit hast du einen ersten Überblick über die 39 Wörter, die es in allen romanischen Sprachen gibt.

Text


Hier ist ein weiterer Text mit den 39 panromanischen Elementen, diesmal in englischer Sprache.

Aquavit

Im Trainingsraum kannst du weiter mit diesen Elementen arbeiten.

Hier findest du nun mehrere Übersichten, die Listen mit den jeweiligen Wörtern in sechs romanischen Sprachen (und oft sogar die  lateinischen Wurzeln und die deutschen Entsprechungen) enthalten. Sie machen die vielen Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede über die Sprachenfamilie hinweg sichtbar.

Pinn Lass dich darauf ein, dir die Listen genauer anzusehen. Dabei geht es nicht darum, alle Listen komplett durchzuarbeiten, sondern am besten anhand einzelner Wörter zu arbeiten, die man sich über die Sprachen hinweg anschaut, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. 

Wörter in neun romanischen Sprachen

109 Wörter kommen in mindestens neun romanischen Sprachen vor, meistens im Grundwortschatz. Zusammen mit den 39 absolut panromanischen Elementen bilden sie den Kern des panromanischen Wortschatzes ab, den die romanischen Sprachen vom Lateinischen ererbt haben. Kennt man diese Elemente in einer romanischen Sprache, so versteht man sie in allen romanischen Sprachen.
Bei allen Wortlisten gilt aber: es können einzelsprachlich Bedeutungsunterschiede bzw. -veränderungen vorliegen, z.B. bei frz. sentir (dt. fühlen, riechen), it. sentire (dt. hören), sp. lo siento (dt. es tut mir leid).


Logbuch Die Vergleichslisten kann man nicht nur dazu benutzen, sich den lexikalischen Kern der romanischen Sprachen einzuprägen, sondern auch dazu, einen ersten Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede über Sprachen hinweg zu werfen. Probier es gleich einmal aus!

Wörter in acht romanischen Sprachen

Diese 33 Wörter kommen im Grundwortschatz von acht romanischen Sprachen vor. Als Entlehnungen kann man sie auch  im Deutschen wiederfinden, wo sie sich - auch ohne Lateinkenntnisse - recht einfach erschließen lassen. 

annus, ars, bibere, bra(c)chium, caelum, clamare, clarus, color, corona, credere, crescere, dicere, durus, lectus, locus, mutare, niger, novus, nox (noctem), parare, parere, pars (partem), pax (pacem), pes (pedem), poena, porta, sal, scribere, sentire, sors (sortem), tendere, unda, vedere.

Pinn Bevor du weiterliest, überlege doch mal, welche deutschen Wörter du kennst, das das jeweilige Element aufgenommen haben (z..B. annuelle Raten, Artist, usw.).

Auch im italienischen Kleid sind dies 33 Elemente wiederzuerkennen, auch wenn sie nicht immer auf Anhieb transparent erscheinen. Manches erkennst du vielleicht leichter, wenn du ,um die Ecke' denkst, z.B. an Musik, da kennst du womöglich das crescendo?)

anno, arte, be[ve]re, braccio, cielo, [cl-]chiamare, chiaro, colore, corona, credere, crescere, di[ce]re, duro, letto, luogo, mutare, ne[g]ro, nuovo, notte, parare, par[esc]ere, parte, pace, piede, pena, porta, sale, scrivere, sentire, sorte, tendere, onda,vedere.

 

Wörter in fünf bis sieben romanischen Sprachen

Die in sieben romanischen Sprachen bis heute erhaltenen Wörter sind auch in ihrer italienischen Form recht leicht wiedererkennbar:

ala, anima, aprire, arma, [a]udire, cane, cuore, giorno, di[gi]to, fronte, lacrima, lavare, lettera, malo, madre, mezzo, mettere, molle, monte, poco, ponere, popolo, salute, seguire, sonno, tavola, tutto, tra[he](r)re, ombra, valere, velo, via, vincere, volare.

Am Beispiel des italienischen Wortes cane (Hund) wird deutlich, dass in den romanischen Sprachen manchmal verschiedene Wörter benutzt werden. So sind das span. perro oder kat. gos auf ganz andere Ursprünge zurückzuführen als der in der übrigen romanischen Welt verbreitetete canis (it. cane, rum. căine, frz. chien, pg. cāo, dt. Hund).
Auch kulturhistorische Einflüsse können den Gebrauch der Worte verändern; so geht im Rumänischen das Herz auf ein Wort zurück, das für andere die Seele bedeutet: inimă (frz. coeur, it. cuore, kat. cor, sp. und pg. um eine Silbe verlängert sp. corazón, pg. coração). Für die Seele (it. anima, frz. âme, sp./pg. alma, kat. anima) gebraucht man in Rumänien ein im orthodoxen Kulturkreis geläufiges Bild des ,Eingehauchten' (suflet), das in der übrigen Romania als Verb vorkommt (vgl. frz. souffler, dt. hauchen, dt. pusten, man denke auch an den Souffleur, der dem Schauspieler Wörter ,hinhaucht').

Der panromanische Ergänzungswortschatz

227 Wörter finden sich im Grundvokabular von fünf bis sieben romanischen Sprachen. Zusammen mit den Wörtern, die in acht Sprachen vorkommen, ergibt sich damit eine Ergänzungsliste von knapp 260 Wörtern.

Panromanische Wörter aus dem Gelehrtenlatein

Die 73 Elemente aus dem sog. Gelehrtenlatein legen Zeugnis über dessen große Bedeutung insbesondere für die Entwicklung der romanischen Schriftsprachen ab.

Die Sprache des Christentums, seiner Klöster und Bildungsstätten, der Wissenschaften und der staatlichen Verwaltung war das Gelehrtenlatein. Es beeinflusste Europa über das gesamte Mittelalter hinweg bis in die Neuzeit nachhaltig. So erklärt sich, dass es neben dem romanischen Erbwortschatz auch viele Wörter gibt, die in viel späterer Zeit über das Gelehrtenlatein Eingang in die romanischen Sprachen gefunden haben. 73 von ihnen sind als panromanisch zu bezeichnen und gehören noch heute zum Grundvokabular aller romanischen Sprachen. Die panromanischen Elemente des Gelehrtenlateins sind auch in andere europäische Sprachen gelangt und z.B. auch im deutschen Fremdwortschatz, dem Englischen und dem Französischen vertreten. 

Pinn Anhand der Liste kann man auch schon lautliche Unterschiede entdecken, besonders am Wortende. Beim Durchgehen wird eine ganze Reihe von spezifischen Charakteristika der Sprachen deutlich, die den Blick für die Regelmäßigkeit der Unterschiede schärfen und romanische Lautungen in den anderen Sprachen vorhersehbarer machen. Das dritte Sieb zu den Lautentsprechungen wird sich damit detallierter beschäftigen.
Daneben zeigt die Liste aber auch ein paar Fallstricke auf, die sogenannten falschen Freunde, faux amis. Das sind Wörter, die im Deutschen oder im IW oder innerhalb der Romania ihre Bedeutung geändert haben. So ist z.B. dt. kurios "merkwürdig" und fr. curieux "neugierig"; fr. délicat muss nicht immer delikat sein, und fr. la figure heißt zwar auch Figur, wird aber eher im Sinne von ,Gesicht(sausdruck)' gebraucht. Die faux amis sind für das kontextuelle Erschließen nur selten wirkliche Stolpersteine, die wenigen, oftmals amüsanten Missverständnisse, die damit gelegentlich hervorgerufen werden können, passieren selbst erfahrenen Kennern. Sie sind oftmals eher kommunikationsanregend als hemmend ;-)

Die panromanischen Elemente aus dem Germanischen

20 Wörter germanischen Ursprungs sind im langen Kontakt mit germanischen Völkern und Sprachen in die Mehrzahl romanischer Sprachen aufgenommen worden.

Die Völkerwanderung und der Kontakt mit germanischen Idiomen haben in den romanischen Sprachen unterschiedlich starke Einflüsse hinterlassen. Das Französische hat die meisten Lehnelemente (über das Fränkische) erhalten, das Rumänische so gut wie keine. Da man einen Großteil der germanischen Elemente im Rumänischen aber über das Französische oder Italienische entlehnt hat, partizipiert auch diese Sprache an den panromanischen Elementen germanischen Ursprungs.

Nun hast du die Elemente des panromanischen Wortschatzes kennengelernt, die das Optimierte Erschließen deutlich erleichtern können. Sicherlich hast du festgestellt, dass viele von ihnen auch im Deutschen und Englischen vertreten sind. Im Trainingsraum findest du nun Paralleltexte in fünf Sprachen, die die absolut panromanischen Wörter enthalten. Schau sie dir einmal an!