drittes sieb

Die Lautentsprechungen (LE)

Internationaler und panromanischer Wortschatz haben gezeigt, dass viele Wörter auch über das Deutsche zu erkennen sind (z. B. mano, Hand, durch "manuell", mit der Hand). Bei anderen muss man erst einige, manchmal gewagte Sprünge machen, um das romanische Wort über etwas Bekanntes zu erschließen (z. B ital. occhio, span. ojo durch Okular, also die für das Auge gemachte Optik). Das liegt daran, dass die Sprachen sich im Laufe ihrer Geschichte unterschiedlich entwickelt haben; manche Wörter haben sehr wenige lautliche Veränderungen erfahren, andere haben sich dagegen erheblich verändert. Dies hat sich häufig auch auf die Schreibweise ausgewirkt. Viele Wörter sind daher schwerer wiederzuerkennen und erschweren manchmal das Optimierte Erschließen.

Hier bietet das dritte Sieb Unterstützung: In vielen Fällen haben sich nämlich die Laute zwar in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich, aber doch regelmäßig verändert, sodass in den meisten Fällen bestimmte Lautverbindungen der einen Sprache bestimmten Lautverbindungen der anderen Sprache entsprechen. 
(Wir legen Wert darauf, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es hier ausschließlich darum geht, anhand einiger Regelhaftigkeiten die Verwandtschaften zwischen den romanischen Sprachen aufzuzeigen und nicht darum, Lautentwicklungen wissenschaftlich umfassend darzustellen!)

Die Lautentsprechungen werden dir bei der Arbeit mit romanischsprachigen Texten immer wieder begegnen, deshalb lohnt es sich, sie genauer anzusehen.

fête - fiesta - festa

Vokale

Im Deutschen kennt man neben dem Fest auch die Fete, die auf die französische fête zurückgeht, und vielleicht kennt man auch die spanische fiesta, die im Italienischen festa heißt.Übrigens steckt im Französischen im Zirkumflex über dem Vokal regelmäßig ein ursprüngliches : fête, hôtel, …

Dem spanischen fuerte im Inselnamen Fuerteventura entspricht ein französisches fort (dt. fest, Festung) oder ein ital. forte, das uns aus der Musik (forte, fortissmo oder pianoforte) vertraut ist. Dieses Phänomen finden wir bei vielen Wörtern im Spanischen: puente, diente, viento, im Französischen pont, dent, vent, italienisch forte, ponte, dente, vento.

Diese beiden Lautentsprechungen sind typisch für die drei Sprachen. Sie zeigen die unterschiedliche Entwicklung der sog. Haupttonvokale /e/ und /o/ in den romanischen Sprachen. Wenn man weiß, dass diese Lautentsprechungen für jede der drei Sprachen charakteristisch sind, kann man daraus auf weitere Entsprechungen schließen und z. B. von spanisch puerta auf französisch porte (dt. Tür) kommen usw.

Viele Veränderungen haben sich "regelmäßig unterschiedlich" entwickelt (treten aber nicht immer ein, weil sie von verschiedenen Faktoren abhängen, z. B. der Silbenstruktur oder dem Einfluss benachbarter Laute). Wenn also der Wandel von <e> zu <ie> oder von <o> zu <ue> einmal nicht stattgefunden hat, wird das Wiedererkennen nicht behindert, die Verwandtschaft ist dann ohnehin zu erkennen, z. B. bei span. romper, frz. rompre, it. rompere (ebenso como/comme/como; entender/entendre/intendere; seco/sec/secco).

Im Spanischen und Rumänischen ist meist statt des haupttonigen /e/, das wir aus anderen Sprachen kennen,  ein /ie/, im Rum. sogar gelegentlich ein /ia/ zu erwarten. Gelegentlich, in freier Silbe, erscheint auch im Italienischen hier ein /ie/.

Schau dir diese Phänomene einmal genauer an:

Statt des haupttonigen /o/ ist

im Spanischen fast immer ein /ue/ zu erwarten,
im Rumänischen oft ein /oa/,
im Italienischen etwas seltener (in freier Silbe) ein /uo/ und
im Französischen ein /eu/

Die folgenden Schaubilder verdeutlichen die lautlichen Entsprechungen bei den Vokalen über sechs romanische Sprachen hinweg.

Pinn Diese Regularitäten sollen nicht 'gelernt' werden, sondern vielmehr deine Aufmerksamkeit auf die vothandenen Parallelitäten richten und dich dafür sensibilisieren. Wenn du dir die Beispiele genau angeschaut hast, wirst du dich später bei der Textbearbeitung intuitiv daran erinnern und viel leichter 'Kostümierungen' erkennen und aufdecken, die durch lautliche Veränderungen entstanden sind. 

Beim Französischen gibt es zwei besonders wichtige Vokalphänomene, die 'aus der Reihe tanzen':

anstelle der -oi-Schreibungen, die man [wa] ausspricht, haben die anderen romanischen Sprachen fast immer ein -e

das haupttonige /a/ der meisten romanischen Wörter erscheint im Französischen als /e/

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Konsonanten

Auch bei den Konsonanten haben sich im Laufe der Zeit Veränderungen eingeschlichen, die oft in hohem Maß regelmäßig auftreten. Das gilt vor allem für bestimmte Konsonantenkombinationen. Diese "Regularitäten" können sehr hilfreich für das Wiedererkennen "kostümierter" Wörter sein, daber lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen.

Der folgende Mustersatz zeigt die häufigsten 'Kostümierungen' von Konsonantengruppen, auf die man in den sechs Sprachen sehr häufig trifft. Hier handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Darstellung der Lautentwicklungen in der romanischen Sprachenfamilie, sondern wir nutzen hier wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, vor allem aus der historischen und vergleichenden Sprachwissenschaft, als Basis für das interkomprehensive Arbeiten mit den Sprachen so, wie sie sich uns heute begegnen..
Die dargestellten Entsprechungen bilden häufig wiederkehrende Phänomene ab. Auch wenn es jeweils viele Ausnahmen gibt, erleichtern die LEs das Erschließen.
(Konsonantengruppen, die sich nicht verändert haben, sind ohnehin leicht wiederzuerkennen, also z. B. bei spanisch Blume flor, die wie die Blume im Französischen fleur die urspüngliche Konsonantengruppe aus dem Lateinischen flora beibehalten hat.)

Der folgende Satz (dt. Der Schlüssel ist in einem Saal voller Flammen) verdeutlicht die besonders  häufig zu beobachtenden lautlichen Veränderungen bei bestimmten Konsonantengruppen:


Vergleiche die sechs Sprachen. Achte dabei auf die o.g. Konsonantengruppen.
Sie haben sich in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich entwickelt.
Notiere, welche Kombinationen das Italienische, das Portugiesische und das Spanische für diese Konsonantengruppen entwickelt haben.

Die Konsonantenkombinationen bl-, cl-, fl-, gl-, pl-

Die Beispielsätze verdeutlichen die Ähnlichkeit der Wörter in den sechs Sprachen, zugleich wird aber auch ihre ,Kostümierung' deutlich:

Dem spanischen <ll> entspricht ein französisches <cl> (clé) oder <pl> (pleine) oder <fl>.
Das Italienische hat regelmäßig das <-l-> nach einem Konsonanten in ein <i> verwandelt.
Im Portugiesischen entspricht den französischen Konsonantengruppen mit <-l-> meistens ein <ch-> im Anlaut.

Hat man diese Regelmäßigkeiten einmal entdeckt, wird das Wiedererkennen der Wörter viel leichter:

Die Konsonantengruppe <bl->

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Die Konsonantengruppe <fl->

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Die Konsonantengruppe <gl->

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Die Konsonantengruppe <pl->

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Die Konsonantenkombination s + Konsonant

Die westromanischen Sprachen tendieren dazu, am Wortanfang vor der Kombination von <s>+Konsonant ein <e> einzufügen, wie z. B. im Portugiesischen und Spanischen bei estado (dt. Staat). Manchmal wird im Französischen das <s> im Anlaut durch ein <é> ersetzt: état.
Die anderen romanischen Sprachen tendieren dazu, vor s+Konsonant im Anlaut ein e einzufügen, z.B.im span. escándalo, das dem dt. Skandal entspricht.

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Die Konsonantenkombination l + Konsonant

Im Französischen ist häufig eine sog. Vokalisierung zu beobachten, ebenso bei vielen Wörtern im Portugiesischen. Im Spanischen dagegen fällt das <l> oft weg oder hat sich in ein <ch> verwandelt:

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Die Konsonanten p-, t-, k-

Die sog. stimmlosen Konsonanten <p>, <t> und <k> werden ohne wesentliche Beteiligung der Stimmbänder gebildet. Sie haben sich im Laufe der lautlichen Entwicklungen vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen zum Teil deutlich verändert, insbesondere, wenn sie zwischen zwei Vokalen vorkommen.
In den westromanischen Sprachen sind sie zwischen Vokalen häufig sonorisiert worden, d.h. stimmhaft und damit zu <b>, <d>, <g> geworden.
Das Italienische und Rumänische haben die stimmlosen Konsonanten häufig bewahrt, während andere Sprachen in unterschiedlichem Maß sonorisieren:

it. sapere - span. saber - frz. savoir
it. ruota - span. rueda - frz. roue
it. sicuro - span. seguro - frz. sûr

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Wenn du noch mehr zu den Lautentsprechungen erfahren möchtest, kannst du dir im Forschungskapitel den Abschnitt "Latein und die romanischen Sprachen" ansehen.

Pinn  Andernfalls schau als nächstes mal, was du  im Trainingsraum zu den lautlichen Entsprechungen entdecken kannst!