viertes Sieb

Graphien und Aussprachen (G&A)

Die romanischen Sprachen geben viele Laute mit jeweils den gleichen Buchstaben wieder. In einigen Fällen werden Laute aber in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich geschrieben, sodass die Wörter nicht immer auf den ersten Blick erkannt werden können. Einige dieser 'Kostümierungen' sind auf lautliche Veränderungen und unterschiedliche Schreibtraditionen zurückzuführen. In vielen Fällen sind diese Entwicklungen regelmäßig und  leicht aufzudecken, wenn man die dazugehörigen Ausspracheregeln kennengelernt hat. So wird beispielsweise der Laut [u] im Französischen <ou> geschrieben, das geschriebene <u> allein wird wie das deutsche <ü> ausgesprochen. Der im Deutschen mit <ö> geschriebene Laut wird im Französischen mit <eu> geschrieben.

Aussprache und Schrift haben sich vor allem an 'Korrosionsstellen' im Zusammenhang mit Konsonanten jeweils unterschiedlich entwickelt. Die Phänomene, auf denen die Veränderungen beruhen, sind auf die Bildung des jeweiligen Lauts im menschlichen Stimmapparat zurückzuführen: je nach der Stelle, an der sie gebildet werden (Stimmbänder, Gaumen, Nase,...) hören sich die Laute unterschiedlich an.
Die häufigsten Phänomene rund um Graphien und Aussprachen werden im vierten Sieb für das erschließende Lesen erklärt.

¡ojo!

Das Wichtigste zur Aussprache

Hier zeigen wir, welche linguistischen Prozesse zu lautlichen Veränderungen geführt haben, die sich in besonderem Maße auf die Schrift ausgewirkt haben. Einige dieser Phänomene sind dir bereits im dritten Sieb begegnet.
Insgesamt sind es vor allem die palatalisierten Konsonanten <c>, <g>, <l> und <n>, die in den einzelnen Sprachen unterschiedlich dargestellt werden, also diejenigen Konsonanten, die im vorderen Gaumen gebildet werden.  
Außerdem haben die Sonorisierung der p-t-k-Laute, die Assimilation von Konsonantengruppen, die Vokalisierung des l-Lautes und die Nasalierung vor allem im Französischen und Portugiesischen zu unterschiedlichen Schreib- und Aussprachekonventionen geführt.
All diese Phänomene kannst du dir hier im Detail ansehen, um die verschiedenen Schreibweisen und Aussprachekonventionen der romanischen Sprachen noch besser zu verstehen.

In allen romanischen Sprachen wird für das gesprochene [k] vor <a>,<o>, <u> der Buchstabe  <c> verwendet.

Soll ein Laut wie das deutsche [k] ausgesprochen werden, verwenden die westromanischen Sprachen vor <e> oder <i> das <qu>, die ostromanischen Sprachen wie Italienisch und Rumänisch ein <ch>.

Wenn man also weiß, dass das italienische Wort che genauso ausgesprochen wird wie das spanische Wort que, ist es viel leichter, darin das französische que wiederzuerkennen, das in allen drei Sprachen jeweils der, welcher bzw. dass bedeutet. Auch das rumänische Wort chellner ist leichter als das deutsche Wort für Kellner zu erkennen, wenn man die rumänische Aussprachekonvention kennt.

Der Buchstabe <c> wird im Französischen, Katalanischen, Okzitanischen und Portugiesischen vor <e> und <i> palatalisiert und wie ein scharfes [s] im Deutschen ausgesprochen, ebenso im südamerikanischen Spanisch. 
Im europäischen Spanisch werden <ce> und <ci> ähnlich dem englischen <th> wie [θ] ausgesprochen.
Im Italienischen, Rumänischen und Rätoromanischen werden <ce> und <ci> als [tʃ] wie in dt. Kutsche ausgesprochen: cioccolata (it.), ciocolată (rum.) 

In allen romanischen Sprachen wird <g> vor <a>, <o>, <u> wie in dt. Gummi ausgesprochen.
Durch nachfolgendes <e> oder <i> wird das geschriebene <g> im Französischen, Katalanischen, Okzitanischen, Portugiesischen und südamerikanischen Spanisch zum stimmhaften Laut [ʒ] (wie in dt. Garage) ausgesprochen.
Das geschriebene <g> wird im europäischen Spanisch vor <e> und <i> zu einem dem dt. Ach-Laut ähnlichen [χ]. 
Das Italienische, Rumänische und Rätoromanische palatisieren zusätzlich mit einem [d]-Laut zu [dʒ] (wie in dt. Dschungel).
Die romanischen Sprachen haben also verschiedene Darstellungen zur Palatalisierung des [g]-Lautes entwickelt:

<j>    jandarm (rum. [ʒ]), joia (kat. [ʒ]), Jorge (span. [χ])
<g>  gendarme (fr. [ʒ]), geral (pt. [ʒ]), general (span. [χ])
<gi> giubilare, generale (it. [dʒ]), general (rum. [dʒ]) 

Das geschriebene <ch> wird im Spanischen mit den Laut [tʃ] wie in Che Guevara ausgesprochen, im Portugiesischen [ʃ] (wie in dt. Schiff) verwendet und in der Ostromania als [k]-Laut.

Um das <c> vor <a>, <o>, <u> palatal, also wie ein scharfes [s] im Deutschen, auszusprechen, benutzen Französisch, Katalanisch und Portugiesisch das <ç> : façon (frz.), ficção (pt.), començar (kat.) (vgl. aber auch rum. fasadă).

Die Schaubilder fassen die Palatalisierung der [k]- und [g]-Laute noch einmal übersichtlich zusammen. Schau dir die Wortbeispiele genau an und sprich sie am besten laut aus, um dir die Regularitäten besser einzuprägen: 

Ein besonderer Fall der Palatalisierung begegnet uns in den westromanischen Sprachen bei Wörtern, die sich aus dem Lateinischen entwickelt haben und ursprünglich eine <ct>-Gruppe enthielten. Sie alle haben diese Konsonantengruppe - unterschiedlich ausgeprägt - palatalisiert, wie das Beispiel der Zahl 8 (lat. octo) zeigt:

fr. huit, cat. vuit, pt. oito, span. ocho

Das Italienische geht hier noch weiter und assimiliert zu otto, während das Rumänische das <ct> zu opt labialisiert:

Die Laute p-t-k und b-d-g werden als Verschlusslaute bezeichnet. Sie werden mit unterschiedlicher Beteiligung der Stimmbänder gebildet, deren Schwingung die sog. Sonorität der Lauteverändert. Am intensivsten geschieht dies zwischen zwei Vokalen.

So wird im Deutschen das Wort Rad oftmals wie Rat ausgesprochen, oder bei Weg ist eher ein [k] zu hören, während mehrere Wege eindeutig das geschriebene <g> hörbar machen. 

Die ostromanischen Sprachen Italienisch und Rumänisch haben die ursprünglich stimmlosen Laute p-t-k aus dem Lateinischen weitestgehend beibehalten, während die westromanischen Sprachen sie sonorisiert haben. Im Französischen ging das sogar häufig so weit, dass die Laute nicht einmal mehr als b-d-g übriggeblieben sind, sondern zwischen zwei Vokalen ganz weggefallen sind:

it. sapere - span. saber - frz. savoir

it. ruota - span. rueda - frz. roue

it. sicuro - span. seguro - frz. sûr

In vielen Fällen ist es beim Erschließen der romanischen Sprachen hilfreich, an das Phänomen der Sonorisierung zu denken, insbesondere, wenn b, d oder g zwischen Vokalen stehen oder auch zwei oder gar drei Vokale  (Diphtonge oder Triphtonge) aufeinanderfolgen.  

Das Phänomen der Assimilation von Lauten ist ein weiteres häufig anzutreffendes Phänomen. Das Wort ist selbst Produkt einer Assimilation, zurückzuführen auf lat. ad- und similare (sinngemäß 'an etwas angleichen'). Der Begriff steht für die gegenseitige Anpassung von Lauten, oft, um die Aussprache zu vereinfachen. Insbesondere Konsonantengruppen haben sich in der Romania oft deutlich verändert. Besonders häufig sind dabei die ursprünglichen lateinischen <pt-> und <ct-> Gruppe betroffen, aber auch in vielen anderen Fällen wurden die Laute vereinfacht. Die meisten Doppelkonsonanten in den romanischen Sprachen sind auf Assimilationsprozesse zurückzuführen, die größte Anzahl von ihnen ist im Italienischen zu finden. 

Im Italienischen werden <mm>, <rr>, <bb>, <pp>, <tt>, <ss> nicht nur  als doppelte Konsonanten geschrieben, sondern auch als solche ausgesprochen. Außerdem gibt es im Italienischen noch <cc>, <dd>, <ff>, <gg>, <ll>, <nn> und <vv>.

Das Spanische kennt außer <rr> keine Doppelkonsonanten, hier wurde häufig zu einem einzigen Konsonanten vereinfacht. Es kann deshalb sinnvoll sein, im Falle einer 'Blockade' bei der Bedeutungsermittlung an das Phänomen der Assimilation zu denken und einem spanischen /t/ noch einen historischen Wegbegleiter voranzustellen, um die Erschließung zu erleichtern, z. B. ein weiteres /t/ sein oder ein /k/, selten ein /p/:

sp. ataque

Attacke

sp. tratar

traktieren

Auch im IW stößt man auf Assimilationsphänomene. Man kann sie nutzen, um z. B. das Erkennen von Vorsilben zu trainieren. Damit können Kernelemente von Wörtern leichter identifiziert werden, die dann weitere romanische Assoziationen und Ableitungen zulassen:

ap-plizieren

ad- + pliziere n

fr. plier

Af-finität

ad- + finität

fr. dé-finir, la fin

Al-liierter

ad- + liiert

fr. lier

As-sekuranz

ad- + sekuranz

fr. sécurité, sp. seguro

At-traktion

ad- + traktion

fr. traiter, sp. tratar, tracción

Aventüre

ad- + (engl) venture

it./ pg. / sp./ kat. av(v)entura

 

Die Vokalisierung des <l> hat, besonders in Verbindung mit anderen Konsonanten, offenbar schon recht früh stattgefunden. So kannte schon das Lateinische ein 'mit breiter Zunge hinten im Mund' gesprochenes [l], das die Grammatiker der Antike als "L pinguis" beschreiben. In den westromanischen Sprachen wurde das <l> insbesondere vor <t> und <tr> vokalisiert oder fällt ganz aus, wie die aus lat. alterum abgeleiteten Beispiele zeigen: 

frz. autre, pg. outro, sp. otro

Das Katalanische und Italienische haben den Vokalisierungsprozess nicht mitgemacht. Katalanisch altre zeigt in der Aussprache eine leichte Tendenz zum [u], ähnlich dem englischen [ɫ]. Im brasilianischen Portugiesisch werden heute die End-<l> praktisch wie [u] ausgesprochen: Brasil [bra`ziu].
Auch das Rumänische bewahrt das l-, wenn ein Konsonant wie t folgt (rum. alt). Ein zwischenvokalisches <l> dagegen verschwindet, wenn darauf ein <j> folgt. In anderen Fällen zwischenvokalischer Position macht das Rumänische aus dem [l] ein [r]:

sole > rum. soare ("Sonne")

In den romanischen Sprachen nasalieren das Französische und das Portugiesische, d. h. die betreffenden Laute werden 'durch die Nase' ausgesprochen. In beiden Sprachen werden alle Vokale vor <m> und <n> nasaliert, wenn ein Konsonant folgt.
Das Portugiesische benutzt daneben noch die Tilde <~> zur Darstellung der Nasalierung der Vokale <a> und <o> vor anderen Vokalen:

 cāo (dt. Hund), cançāo, cançōes (dt. Lied, Lieder), leōes (dt. Löwen, pl.), māe (dt. Mutter), māo (dt. Hand)

Hier sind die Lautveränderungen besonders weit gegangen und können das Wiedererkennen der entsprechenden Wörter über andere Sprachen erschweren. Die Tilde auf den Vokalen ist im Portugiesischen ein Indiz für den Wegfall von Konsonanten, häufig des in anderen Sprachen geschriebenen <n> oder <m>. Oftmals kann diese Information bei der Erschließungsarbeit helfen, um die romanischen Entsprechungen zu finden.

Die Schaubilder verdeutlichen noch einmal zusammenfassend die Nasalierung vor <n> und <m> + Konsonant im Portugiesischen und Französischen, die in den anderen Sprachen nicht vorgenommen wird: 

Die theoretische Annäherung hat dir vielleicht das eine oder andere lautliche Phänomen nähergebracht. Die folgende Übersichtstabelle fasst noch einmal zusammen, welche Buchstaben in den verschiedenen Sprachen wie ausgesprochen werden, schau sie dir zusammenfassend noch einmal genauer an.
Im Trainingsraum kannst du dann die unterschiedlichen Schreibweisen und Ausspracheregularitäten ganz praktisch mit Texten in verschiedenen Sprachen entdecken:

Im Trainingsraum kannst du die verschiedenen Schreibweisen und unterschiedlichen Aussprachen mit Alltagstexten kennenlernen. Sieh sie dir einmal an!