sechstes Sieb

Morphosyntax

Der EuroCom-Ansatz zielt darauf ab, hinter den durchaus vorhandenen Unterschieden vor allem das Gemeinsame zu erkennen und durch das Übertragen der Kenntnisse aus einer Sprache das Textverständnis in anderen Sprachen zu erleichtern. Auch das Nachdenken über die Strukturen und das Funktionieren der verschiedenen Sprachen ist dabei wichtig, denn es trägt wesentlich dazu bei, deine Vorgehensweise zu optimieren.

Im sechsten Sieb werden mit den mikrosyntaktischen Strukturen weitere Parallelen in den romanischen Sprachen systematisiert dargestellt. Der Blick auf diese charakteristischen Gemeinsamkeiten in Konjugation, Wortbildung usw. schärft den Blick für das sprachenübergreifende Arbeiten und trägt dazu bei, den Erschließungserfolg weiter zu erhöhen.

Pinn Tipp: In den Sprachenporträts zu den einzelnen Sprachen können zur weiteren Vertiefung noch detailliertere Übersichten konsultiert werden.

¡más!

Die Steigerung der Adjektive ist in den romanischen Sprachen parallel strukturiert, auch aus dem Englischen kennen wir sie als sog. romanische Steigerung.

Die Darstellung beginnt mit dem Positiv, also dem Adjektiv in der Grundstufe, vor der mit einem mehr gekennzeichneten ersten Steigerungsstufe, dem Komparativ, bis zur höchsten Stufe, dem Superlativ. Zur Bezeichnung des Superlativs wird der Komparativ mit dem bestimmten Artikel ergänzt (das Rumänische benutzt hier zusätzlich einen eigenen Demonstrativartikel: cel, cea, cei, cele). 
Für das Element mehr haben die romanischen Sprachen zwei verschiedene Elemente aus dem Lateinischen benutzt, eines abgeleitet von lat. plus (fr. plus, it. più) und eine von lat. magis ( kat. més,pt. mais, rum. mai, sp. más). 
Als Vergleichspartikel verwenden die romanischen Sprachen que, che (oder di), decăt. 

Die romanische Strukturformel für die Steigerung:

Positiv   Komparativ   Superlativ

 

 

Adjektiv



  more
+ Adjektiv  


best. Artikel

(rum. cel, cea)

+ Komparativ
  més
  mais
  mai
  más
  più
  plus

Bsp.: frz. beau - plus beau - le plus beau; it. bella - più bella - la più bella; kat. gran - més gran - el més gran; sp. grande - más grande - la más grande 

Der unbestimmte Artikel

In den romanischen Sprachen sind die unbestimmten Artikel meistens leicht an dem zentralen Nasallaut <m> oder <n> zu erkennen: un, une, uno, una, um, uma usw. 
Lediglich der unbestimmte weibliche Artikel im Rumänischen fällt aus der Reihe: o casă (dt. ein Haus).

Den Plural erkennt man meistens leicht an den Pluralmarkierungen der jeweiligen Sprache:

sg. maskulin   sg. feminin   PLURAL f/m
u m (o)   u m a   u m

s
as
os

u n (o)   u n

a
e

  u n

s
as

Einige Sprachen benutzen für den Plural auch Ersatzformen:
frz. des, it. qualche (einige + Singular!), rum. niște oder câtăva (einige)

Der bestimmte Artikel

Alle romanischen Sprachen haben einen bestimmten Artikel ausgebildet, den es im Lateinischen nicht gab. Er geht - mit Ausnahme des Sardischen - auf das vulgärlateinische ille/illa illud/m zurück, das diese/r/s bedeutete.
Der Buchstabe <l> ist in fast allen Sprachen erhalten geblieben, nur das Portugiesische hat ihn weiter vokalisiert und zum Wegfall gebracht:

pt. o (m., ausgesprochen [u], dt. der), a (f., dt. die), im Plural os (m.), as (f.)

Das Rumänische macht hier ebenfalls eine Ausnahme und hängt den bestimmten Artikel an das Nomen oder das erstplatzierte Adjektiv an (vgl. auch weiter unten):

studentul simpatic oder simpaticul student
studenta simpatică oder simpaticstudentă

Die Formel zum bestimmten Artikel in der Romania lautet:

sg. maskulin   sg. feminin   PLURAL f/m
e l     la    e l s
i l         l

es
as/os
e

  l

e
o

    g l i
o   a   as/os

 

Die Pluralmarkierungen sind in den romanischen Sprachen sehr leicht zu erkennen. Dabei gibt es zwei Varianten: Die westromanischen Sprachen haben sich auf die lateinische Akkusativform gestützt und benutzen alle das <s> am Wortende, um die Mehrzahl zu markieren. Die östlichen Vertreter der Sprachenfamilie kennzeichnen den Plural bei männlichen Wörtern mit <i> und bei weiblichen mit <e> (in Anlehnung an die lateinische o- bzw. a-Deklination). 

Ostromania:       -i, -e
Westromania     - s 

Das Rumänische kennt zudem noch sog. zweigeschlechtliche, ambigene Wörter, die auf das alteinische Neutrum zurückgehen. Sie sind im Singular männlich und im Plural weiblich und basieren auf dem lateinischen System (tempus, tempora): timp, timpuri; hotel, hoteluri.

Anhand der verschiedenen Blumenarten kann die unterschiedliche Pluralbildung in West- und Ostromania gut nachvollzogen werden:

Adjektive werden in den romanischen Sprachen in der Regel an Geschlecht und Numerus des Nomens angepasst, z. B. bei der weißen Margarite und der weißen Nelke (die nicht in allen Sprachen das gleiche Genus haben!):

Adverbien werden in den romanischen Sprachen meistens durch die Endung -mente oder -ment markiert und stehen beim Verb. Deshalb sind sie recht leicht zu erkennen (nur Im Rumänischen ist das anders, dort entsppricht i.d.R. das Adverb dem Adjektiv).

Adv. = Adj. + -ment(e) 

Auch aus dem Englischen kennen wir die Markierung des Adverbs durch eine Nachsilbe, hier wird regelmäßig -ly an das Adjektiv angehängt.
Der Großteil der sog. natürlichen Adverbien kommt aus dem panromanischen Erbwortschatz und ist daher ebenfalls über die Sprachen hinweg leicht erschließbar, z. B. frz./span. bien, it. bene, kat. , pt. bem, rum. bine.

bien, bene, bé, bem, bine

Fast alle romanischen Sprachen markieren Genitiv und Dativ mit Präpositionen. Häufig verschmelzen sie mit den Artikeln, insbesondere im Italienischen (s.u.).Nur das Rumänische hat ein eigenes Kasusystem entwickelt, das weiter unten detailliert dargestellt wird.

Der Akkusativ ist in aller Regel formgleich mit dem Nominativ und meistens nur an der Stellung im Satz erkennbar (vgl. Kernsatz 3 im Kapitel Panromanische Syntax). Neben dem Rumänischen gilt auch für das Spanische eine Ausnahme, hier wird bei Personen im Akkusativ zusätzlich eine Präposition vorangestellt: (rum. pe, span. a).
Im Französischen ist im Akkusativ häufig eine zusätzliche Verstärkung anzutreffen: c'est Jean que je vois, dt. es ist Jean, den ich sehe.

Generell zusammengefasst: 

Der Genitiv

Der Genitiv wird panromanisch mit der Präposition de oder di gebildet. 

Der Dativ

Der Dativ wird panromanisch mit der Präposition a bzw. à gebildet.

Der Akkusativ

Der Akkusativ entspricht meistens dem Nominativ und ist an der Stellung im Satz erkennbar.
Im Rumänischen und Spanischen wird er bei Personen zusätzlich mit Präpositionen markiert.

Das Rumänische benutzt meistens ein sog. Suffix, also eine Nachsilbe, die an das Wort und den Artikel angehängt wird, um den Kasus zu markieren. 

Die Kasusmarkierung im Rumänischen:

unbest. Artikel Nomen Kasus Nomen + best. Artikel
un om
Nominativ sg. m. 
omul
unui  om
Genitiv sg. m. 
omului
o casă
Nominativ sg. f. 
casa
unei case
Genitiv sg. f. 
casei
       

(nişte)

oameni
Nominativ pl. m. 
oamenii
unor oameni
Genitiv pl. m. 
oamenilor

(nişte)

case
Nominativ pl. f. 
casele
unor case
Genitiv pl. f. 
caselor

Pinn Für weitere Details kannst du im Sprachenportrait nachschauen!

Die meisten romanischen Präpositionen sind leicht (wieder-) zu erkennen: in, de, a, con usw.
Allerdings verschmelzen sie häufig mit den nachfolgenden Artikeln und sind dann nicht mehr auf den ersten Blick zu identifizieren.

Deshalb lohnt sich ein genauerer Blick, um besser mit dem Phänomen der Verschmelzung umzugehen.

Im Französischen begegnen uns die Verschmelzungen der Präpositionen à und de mit den männlichen Artikeln le und les zu au, aux und du, des.
Viel häufiger verschmelzen jedoch die Präpositionen im Italienischen und im Portugiesischen mit den Artikeln.

Pinn Mehr Details dazu in den Sprachenportraits, jeweils in Kap. 4.2 (Kap. 5.2 für das Portugiesische).

Der Infinitiv

Der Infinitiv ist panromanisch leicht erkennbar, denn er wird systematisch parallel mit -re, -er, -ir gebildet, die Konjugation richtet sich nach dem jeweiligen Stammvokal (<a>, <e>, <i>). Es ist in der Regel ein <r> aufzufinden, außer im Rumänischen, wo das <r> weggefallen ist:

it. dormire, frz./kat./pg./sp. dormir, rum. a dormi (dt. schlafen)

Ähnlich wie im Englischen, das den Infinitiv mit to markiert, kennzeichnet das Rumänische den Infinitiv zusätzlich mit einem a.

Die 1. Person Singular

Die erste Person Singular wird im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen mit -o gebildet, und im Französischen, Katalanischen und Rumänischen im Auslaut nicht markiert:

frz. je dors, it. dormo, kat. dormo, pt. durmo, rum. dorm, span. duermo

1. Person sg.

-o

sp. it. pg.

./.

kat. rum. frz.

-esc, -ez

rum.

2. Person Singular 

Die zweite Person Singular lässt sich in den westromanischen Sprachen in aller Regel am auslautenden -s erkennen, in den ostromanischen Sprachen am -i:

frz. tu dors, it. dormi, kat. dorms, pt. dormes, rum. dormi, span. duermes

2. Person sg.
Westromania Ostromania

-s

frz. kat. sp. pg.

-i

it. rum.

 

3. Person Singular

Die dritte Person Singular wird entweder mit dem Stammvokal der jeweiligen Konjugation (s.o.) oder mit einem auslautenden -t gekennzeichnet:

frz. il dort, it. dorme, kat. dorm, pt. dorme, rum. doarme, span. duerme

3. Person sg.

-a, ã

-t

./.

-e, -i

-t

 

1. Person Plural

Die erste Person Plural geht auf die lat. Endungen -amus, -emus, -imus zurück, die sich allerdings z. T. unterschiedlich weiterentwickelt haben. Allen Formen gemeinsam sind die Endungen mit einem der Vokale <a>, <e>, <i>, <o> vor einem der beiden Nasalkonsonanten <m> oder <n>, gefolgt von -o, -os oder -s:

frz. nous dormons, it. dormiamo, kat. dormim, pt. dormimos, rum. dormim, span. dormimos

1. Person pl.
Stammvokal Nasalkonsonant Endung

-a
-e

-i
-o

-n

-m

-o
-os

./.

 

2. Person Plural

Bei der 2. Person Plural wurden die ursprünglichen lat. Endungen -atis, -etis, itis unterschiedlich intensiv palatalisiert. Allen romanischen Sprachen gemeinsam ist ein Stammvokal (<a>, <e>, <i>, <o>) und ein Dentalkonsonant (<d>, <t>, <ț>, <z>).

Am nächsten zum lateinischen Vorbild liegt das Italienische mit der Endung -ate, -ete, -ite. Das Rumänische hat palatalisiert: -ați, -eți, -iți (sprich [ats‘, ets‘, its‘]. Das Französische hat zu -ez palatalisiert. Im Spanischen und Portugiesischen ist das intervokalische romanische <t> so stark sonorisiert worden, dass es ausfiel und nur -ais, -eis übriggeblieben ist. Im Katalanischen ist typischerweise ein Diphthong entstanden: -eu, - iu:

frz. vous dormez, it. dormite, kat. dormeu, pt. dormis, rum. dormiți, span. dormís

2. Person pl.
Stammvokal Dentalkonsonant Endung

-a
-e
-i

t
ț
d
z
./.

-e
-es
-i
-is
-u
./.

 

3. Person Plural

Die dritte Person Plural lautet in den romanischen Sprachen mit einem Nasalkonsonanten (<m>,<n>) aus, im Portugiesischen nasaliert die Tilde (<~>) den vorangehenden Laut (pt. sāo). Im Französischen wird dem <n> ein <t> hinzufügt, im Italienischen ein <o>. Das Rumänische übernimmt die 1. oder 3. Person Singular für die 3. Person Plural.  

frz. ils dorment, it. dormonno, kat. dormen, pt. dormem, rum. dorm, span. duermen

3. Person pl.
Stammvokal Nasalkonsonant Endung

-a
-e
-i

 

-m

~

./.

n

-o
-t
./.

Für das Erschließen von Texten ist es oft gar nicht erforderlich, das Tempus, also die Zeitform, genau zu erkennen, um annäherungsweise zu verstehen. - Manchmal kann in den romanischen Sprachen sogar das Präsenz alle zeitlichen Stufen ausdrücken.
Dennoch gibt es einige Indizien, die helfen, die jeweilige Zeitform zu erkennen.

 

Das Futur

Die meisten Futurformen basieren auf der Kombination des jeweiligen Verbs im Infinitiv mit der Präsenzform des lat. Verbs habere (dt. haben). Die erste Person hat dabei immer einen vokalischen Ausgang -ai, -e, oder -o
Machmal werden aber auch spezifische Futurfomen verwendet, wie z.B. frz. j'irai, span. iré  usw., die beide im Futur das lat. ire benutzen, oder für das zusammengesetzte Futur das lat. vadere (fr. je vais,span. voy).

Im Rumänischen wird das sog. voluntative Futur wie im Englischen (I will do) gebildet: rum. voi, vei, va, vom, veţi, vor, jeweils + Infinitiv. Daneben gibt es im Rumänischen ein mit haben + Konjunktiv gebildetes Futur: am să facă usw. sowie eines mit o + Konjunktiv: o să facă (ich werde tun).

 

Das Imperfekt

Auch die Imperfektendungen sind unmittelbar aus dem Lateinischen entstanden, die Formen endeten dort auf -abam und -ebam. Auch sie haben sich lautlich unterschiedlich entwickel. Im span. estaba ist die Ursprungsform noch leicht wiederzuerkennen, in den anderen Sprachen wird häufig das -b- zu -v- sonorisiert (also stimmhaft), wie in it. stava, in kat./port. estava. Manchmal haben sich auch Diphtonge (Doppelvokale) entwickelt wie in den folgenden Beispielen: pg. dizia, spa. decía, kat. deia, fr. disais, rum. ziceam (dt. ich sagte).

 

Das Perfekt

Das zusammengesetzte Perfekt ist panromanisch an der Verwendung des Hilfsverbs haben + Partizip Perfekt zu erkennen. Es enthält in der Regel einen Dentallaut, der im Italienischen, Katalanischen und Rumänischen als <t> erscheint, und sich in den anderen westromanischen Sprachen zu <d> entwickelt hat. Im Französischen ist er ganz ausgefallen, die regelmäßige Form des Partizips endet hier auf <-é>.

Gerade bei der Bildung des Partizip Perfekt gibt es in den romanischen Sprachen viele Unregelmäßigkeiten. Besonders viele davon weist das Französische auf:

prendre - pris, mettre - mis, pleuvoir - plu, croire - cru, savoir - su, avoir - eu, voir - vu, vouloir - voulu, devoir - , venir- venu, faire - fait, finir - fini.

Das Partizip Präsenz und das Gerundium

Das Partizip Präsenz dient in den romanischen Sprachen oft der Nebensatzverkürzung. Es ist in der Regel an der Buchstabenkombination -nd- oder -nt- zu erkennen.

Pinn Im Trainingsraum kannst du dich jetzt noch einnmal ganz praktisch mit den Strukturen beschäftigen, die die romanischen Sprachen miteinander teilen. Einige der Texte im Trainingsraum sind dir vielleicht bei einer Urlaubsreise schon einmal begegnet.

Viele der sprachlichen Muster sind dir über deine Vorkenntnisse aus anderen romanischen Sprachen vertraut. Sie alle musst du nicht neu lernen. Beim Lesen und Erschließen der Texte kannst du die Gemeinsamkeiten beim Funktionieren der romanischen Sprachen leicht entdecken. Vieles davon wirst du im Kopf behalten, ohne es aufwändig neu lernen zu müssen!