MEHRSPRACHIGKEIT UND SPRACHENPOLITIK

English only ist nicht genug!

Europaweit stützen sich die nationalen Bildungssysteme in erster Linie auf die Vermittlung des Englischen, der lingua franca der internationalen Kommunikation. Die formelhafte europapolitische Zielsetzung „Muttersprache + 2“ wird in fast allen europäischen Schulsystemen mit Englisch als erster Fremdsprache umgesetzt. Künftige Generationen sollen über umfassendere sprachliche und kulturelle Kompetenzen verfügen als die älteren Generationen. Dennoch bleibt die generelle Frage nach der Vermittlung von Sprachkompetenzen und insbesondere diejenige nach informell erworbenen Kompetenzen etwa von Herkunftssprachen von allerhöchster Aktualität und Relevanz, auch mit Blick auf die kulturelle Vielfalt unserer Lebenswelt.

Nicht zuletzt die demographischen und migratorisch bedingten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte erfordern hier ein grundsätzliches Umdenken. So transportiert bereits die Bezeichnung der in der Schule vermittelten Sprachen als „Fremdsprachen“ eine Fremdheit, die gerade den Nachbarsprachen im gemeinsam bewohnten europäischen Haus eigentlich nicht gebührt.
Nicht nur innerhalb der Sprachenfamilien, sondern häufig sogar über die Sprachen einer Sprachengruppe hinaus bestehen viele Gemeinsamkeiten, die ganz überwiegend auf die historischen und kulturellen Sprachkontakte über viele Jahrhunderte zurückzuführen sind. Sie können und sollten lernökonomisch genutzt werden.

Das Englische ist in unserer heutigen Welt allgegenwärtig, sodass es sehr leicht fällt, es zu erlernen. Ihm gebührt ein fester Platz in den Schulen, allerdings nicht in Konkurrenz zu anderen Sprachen, sondern neben weiteren Sprachen, die unterrichtet werden. In den europäischen Bildungssystemen sollte die Sprachenfolge überdacht werden, um anderen Sprachen mehr Platz einzuräumen und die Lernenden für das (Mehr-) Sprachenlernen zu motivieren.
Auf diese Weise könnte die Bedeutung von kleineren oder Minderheitensprachen ebenso wie von Herkunftssprachen gestärkt werden. Dies würde dem Bedeutungs- und Wertverlust der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit entgegenwirken, der aufgrund gesellschaftlicher Gegebenheiten und der Ausgestaltung der Bildungssysteme in den europäischen Gesellschaften zunehmend zu beobachten ist.

Das Englische mag zwar auf den ersten Blick eine Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg ermöglichen, dabei ist jedoch stets zu beachten, dass Missverständnisse und fehlende kulturelle Bindungen die Kommunikation durchaus schwächen und das gegenseitige Verstehen empfindlich hemmen können.
Englisch allein reicht bei weitem nicht aus, um das gegenseitige Verstehen zu garantieren, es ermöglicht nicht "automatisch", tiefer in die Sprachen und Kulturen der anderen, etwa der europäischen Nachbarn, einzutauchen. 

Das Englische ist aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken, zugleich kann es Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz nicht ersetzen.