In den Selbstlernräumen des EuroCom-Portals steht die rezeptive Interkomprehensionskompetenz im Zentrum der Aktivitäten, also das Lese- und Hörverstehen. Die Interkomprehensionskompetenz ist einer der zentralen Bausteine der individuellen Mehrsprachigkeitskompetenz.
Kompetenzen
Mehrsprachigkeits- und Interkomprehensionskompetenz
Mehrsprachigkeitskompetenz
Wer bereits eine (oder mehrere) andere Sprache(n) erworben hat, verfügt über das Wissen und Können in und über diese Sprache(n); dies ist eine wertvolle Ressource für das Lernen weiterer Sprachen. Insbesondere können auch die mit dem Sprachenlernen verbundenen Erfahrungen und Kompetenzen beim sog. transferbasierten Sprachenlernen gewinnbringend eingesetzt werden.
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie mehrsprachig du bist? Auch wenn du nicht von klein auf mit mehreren Sprachen aufgewachsen bist, bist du mehrsprachig, vielleicht noch viel mehr, als es auf den ersten Blick erscheint. So hast du zum Beispiel viele Wörter aus vielen verschiedenen Sprachen im Kopf, von Menschen aus deiner Umgebung, aus den Medien oder auch aus dem Sprachunterricht in der Schule oder anderswo.
Über ein Sprachenportrait und deine Sprachenbiographie kannst du dir dein persönliches Bild von den Sprachen machen, die dich bisher in deinem Leben begleitet haben. Außerdem kannst du über die Kompetenzen, die du in deinen Sprachen hast, nachdenken und sie einschätzen und einmal bilanzieren, in welchen Regionen und Ländern du welche Sprachen "erlebt" hast. Im Logbuch findest du im Kapitel "Meine Sprachen" Fragen, die dir dabei helfen, einmal ganz gezielt über deine Sprachen und das, was sie dir bedeuten, nachzudenken.
Die deutschen Lehrpläne für die modernen (Fremd-)Sprachen haben die interkulturelle und funktionale kommunikative Kompetenz in den Fokus des schulischen Sprachenunterrichts gerückt. Diese zentralen Kompetenzbereiche werden in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife ergänzt um die Text- und Medienkompetenz; daneben bilden Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit neue eigenständige Kompetenzbereiche, die das Sprachenlernen insgesamt umspannen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint eine Integration sprachenübergreifender und sprachenvernetzender Ansätze, wie sie seit Jahrzehnten in der Wissenschaft diskutiert werden, überaus erfolgversprechend.
Laut dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER, Europarat 2001) ist Mehrsprachigkeit „eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren." (Kap.1.3). Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um "graduell unterschiedliche Kompetenzen in mehreren Sprachen" (ebenda) handelt, es wird also keineswegs vorausgesetzt, dass man in allen Sprachen ,perfekt' ist.
Die Deskriptoren des GER 2001 beziehen sich auf die verschiedenen Kompetenzbereiche innerhalb einer einzelnen Sprache. Ausgehend von einem kommunikativ- und handlungsorientierten Konzept beschreibt der GER 2001 Sprachwissen, Sprachfertigkeiten und Sprachanwendung auf sechs Niveaustufen. Dabei werden die kommunikativen Kompetenzbereiche Lese- und Hörverstehen – die sog. rezeptiven Kompetenzen – sowie Sprechen und Schreiben, die sog. produktiven Kompetenzen, unterschieden. Durch diese bei Einführung des GER neuartige klare Differenzierung rücken die einzelnen Kompetenzbereiche deutlicher in den Fokus; sie können differenziert bewertet und damit ausdrücklich wertgeschätzt werden. Diese Form der Kompetenzdifferenzierung stellte eine der zentralen Neuerungen des GER dar, die sich europaweit im Zuge der Handlungsorientierung des Sprachenunterrichts in allen Bildungsbereichen durchgesetzt hat.
Die sprachenübergreifende Dimension der kommunikativen Kompetenz wird erst in dem 2018 erschienen Begleitband zum GER (Europarat 2020) konkret berücksichtigt. Hier werden die Konzepte der plurilingualen und der plurikulturellen Kompetenz weiterentwickelt und in Form von sechs neuen Skalen und ihren Deskriptoren operationalisiert. Unter anderem werden dabei auch die mediation communication (pp. 122-125) sowie innerhalb der kommunikativen Kompetenzen die der plurilingual and pluricultural competence (pp. 157-161) messbar gemacht (sog. Operationalisierung) und mit Deskriptoren beschrieben.
Im Logbuch findest du im Kapitel "Meine Sprachenwelt" die Übersicht zur Selbsteinschätzung von Sprachkompetenzen nach dem GER.
Füll sie doch einfach mal für deine Sprachen aus!
Auch der Referenzrahmen für Plurale Ansätze (RePA, Candelier et al. 2007) ist für das Mehrsprachenlernen von Bedeutung. Er versteht sich als Ergänzung des GER 2001 und des Europäischen Sprachenportfolios und umfasst sprachenübergreifende Deskriptoren von Kompetenzen, die während mehrsprachiger Reflexions- und Handlungsprozesse entwickelt werden. Sie sind unterteilt in die Kategorien deklaratives Wissen (savoir), persönlichkeitsbezogenes (savoir-être) und prozedurales Wissen (savoir-faire), das transversal für alle Sprachen und Kulturen und die Beziehungen zwischen ihnen gilt. Viele der RePA-Deskriptoren sind auch für das interkomprehensive Arbeiten einschlägig.
Interkomprehension (IC)
Allgemein wird IC definiert als die Fähigkeit, in einer Gruppe von Sprachen kommunizieren zu können, die einen gemeinsamen Ursprung haben und die man nicht formal gelernt haben muss, um sie zu verstehen.
Die Interkomprehensionskompetenz ist als integraler Bestandteil der kommunikativen Mehrsprachigkeitskompetenz zu sehen, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen einer Person beitragen und in der alle verfügbaren Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren (GER 2001, Kap. 1.3).
In der Theorie wird unterschieden zwischen rezeptiver und interaktionaler Interkomprehensionskompetenz, je nachdem, ob es (nur) um das Verstehen – ob von gesprochenen oder geschriebenen Texten – oder (auch) darum geht, aktiv mit Anderssprachigen zu kommunizieren (Ollivier & Strasser, 2016). In beiden Fällen stehen sprachliche bzw. sprachbezogene sowie kognitive Fähigkeiten und Kenntnisse im Zentrum, das Verstehen bildet den unverzichtbaren Kern. Allerdings unterscheiden sich die weiteren Kompetenzbereiche je nach sprachlicher Aktivität: ist sie auf die sprachliche Produktion gerichtet, rücken neben den genannten linguistischen und kognitiven Kompetenzen auch die Bereiche der Einstellungen und Haltungen sowie der interkulturellen und auch diskursiven Kompetenzen deutlicher in den Vordergrund (Ollivier & Strasser, 2016).
Der zwischensprachliche Transfer bildet den Kern der IC-Kompetenz. Dieser Bereich wird in herkömmlichen Lernsettings häufig allenfalls am Rande beachtet. Der einzelsprachlich ausgerichtete Fokus wird oft als Barriere für sprachenvernetzend ausgerichtete Lernansätze empfunden; tatsächlich aber können plurale Ansätze wie die IC auch den einzelsprachlichen Unterricht grundlegend bereichern und den Kompetenzzuwachs deutlich erweitern: Interkomprehensive Verfahren sind kognitiv und metakognitiv ausgerichtet und erlauben den Aufbau einer umfassenderen Kompetenzbasis für das (Mehr-)Sprachenlernen. Die IC-Kompetenz unterscheidet sich insbesondere aufgrund der zwischensprachlichen und plurilingualen Lernprozesse von den beim herkömmlichen Sprachenlernen fokussierten Kompetenzbereichen und geht hier deutlich über den monolingual unterrichteten Unterricht hinaus.
Im EU-finanzierten Projekt EVAL-IC wurden Deskriptoren entwickelt, die es erlauben, die IC-Kompetenz analog zu den Deskriptoren des GER zu evaluieren. Das mit dem europäischen Siegel für Gute Praxis ausgezeichnete Projekt bietet das Instrumentarium, die spezifischen Elemente der IC-Kompetenz einzustufen. Damit kann das individuelle Kompetenzniveau aus sprachenübergreifender Perspektive evaluiert werden.
Im Trainingsraum zu den „Sieben Sieben" kann anhand der sprachenübergreifenden Systematisierungen ein gezieltes Strategientraining zur romanischen Interkomprehension absolviert werden, das sich auf die Nutzung der sprachlichen Transferressourcen richtet und insbesondere die kognitive und metakognitive Ebene fokussiert.
Im Mehrsprachentrainingsraum steht die konkrete Erschließungsarbeit im Fokus, bei der die verschiedenen Strategien Anwendung finden. Dabei arbeiten die Lernenden auch an ihren Einstellungen und Haltungen und ihrer interkulturellen Kompetenz. Zudem wird die diskursive mehrsprachige Kompetenz gefördert, gleichsam als Nebeneffekt der sprachenvernetzenden Vorgehensweise beim Textverstehen.